
Heute mal Elbluft schnuppern
Unterwegs mit der Linie 62
Eindrücke aus dem Hamburger Hafen an einem sonnigen Vormittag im März 2011 – als sich die „Elphi“ noch in der Bauphase befand
Es ist noch ein wenig kühl, doch der Hamburger Himmel verspricht gutes Wetter. An den St. Pauli Landungsbrücken hat das übliche Treiben noch nicht eingesetzt. Nur vereinzelt sind Touristen und ein paar junge Leute unterwegs.
Der Boden unter den Füßen beginnt zu wanken. Die Hafenfähre der Linie 62 hat gerade ihr Anlegemanöver begonnen. Ihre eben noch ruhig brummenden Motoren heulen auf, während sie sich seitwärts ans Ponton schiebt. Das Wasser zwischen Schiff und Anleger sprudelt und schäumt. Es schwappt hoch. Die Motoren werden wieder leiser.
„Zurückbleiben bitte, die Gangway wird bewegt“, ertönt eine Stimme aus dem Lautsprecher. Eine gelbe Signallampe blinkt, begleitet von einem durchdringenden Piepen: Die Rampe fährt herunter. Nun schnell aufs Sonnendeck.
Um diese Zeit sind hier die meisten Plätze noch frei. Einige der Tische weisen noch klebrige Reste von umgekipptem Bier auf, Spuren von Asche. Die Nacht war wohl zu lang – oder der Morgen „zu früh“.
Erste Etappe: Speicherstadt
Die erste Etappe geht zum „Sandtorhöft“, dem Anleger der Speicherstadt. Das goldene Zifferblatt des „Michel“ glänzt in der Morgensonne. Würdevoll liegen zwei stolze Museumsschiffe, die „Rickmer Rickmers“ und die „Cap San Diego“, vor der Silhouette des Hafenviertels.
Mitten durch die Kulisse schlängelt sich plötzlich quietschend und ratternd eine U-Bahn. Schnell ist sie wieder zwischen den Gebäuden verschwunden und das Bild wieder scheinbar bewegungslos.
Würde ein Maler für dieses Stückchen Hamburg zur Farbpalette greifen, er bräuchte nur fünf Farben: ein kühles Grau, ein strahlendes Weiß, ein blasses Grau-grün, das dunkle Rot der Klinkerfassaden und vielleicht noch ein wenig Braun. Mehr nicht.
Es ist noch immer etwas frisch. Der Himmel auf der Sonnenseite im Osten ist noch diesig, blass goldfarben, gegen Westen jedoch schon strahlend blau und fast wolkenlos. Vereinzelte Möwen lassen sich durch die Luft treiben. In einiger Entfernung taucht ein Kormoran pfeilschnell ins das braune Elbwasser, das die Farben des Himmels reflektiert. Ein heiteres Glitzern auf der leicht bewegten Oberfläche.
Baustelle Elbphilharmonie
Die ewig diskutierte Elbphilharmonie ragt hier an der Landspitze empor. Das Gebäude steckt zum Teil noch in Bau-Verkleidung, doch die meisten ihrer speziell angefertigten wellenförmigen Fensterelemente sind bereits angebracht. Wie aufgebläht und vom Wind bewegt erscheint ihre Fassade. Drei Baukräne überragen sie. Und hoch darüber hinterlässt ein winziges Flugzeug einen schneeweißen Kondensstreifen.
Der Ponton an der Speicherstadt ist klein und beweglich, Metallteile schreien bei jeder Bewegung förmlich auf, ein Jaulen, Jammern und Pfeifen. Ketten rasseln, Gummi quietscht, doch mit dem Schwanken und Schaukeln, dem Plätschern und Platschen haben diese Geräusche verblüffenderweise etwas Beruhigendes.
Ein Hauch von Seeluft umweht die Nase, frisch – und doch riecht es auch nach Hafen und Maschinen – Elbluft eben.
Auf dem Balkon eines Bürogebäudes machen Angestellte eine Zigarettenpause, Kaffeebecher in der Hand. Ihre Stimmen sind schwach zu hören, doch ihre Worte kommen unten nicht an. Die eben noch still stehenden Kräne der Elbphilharmonie setzen sich in Bewegung. Material wird an endlos lang scheinenden Metallseilen hochgehievt. Die Arbeiten gehen weiter.


Von der gegenüberliegenden Uferseite dringen Werftgeräusche herüber, leise nur, und doch ist klar das zischende Schweißen, das Kreischen der Metallsägen, das Brummen von Maschinen, das Klopfen und Hämmern als metallene, hohle Resonanz herauszuhören. Schienenfahrzeuge sind in Bewegung.
Mit knirschenden Schritten nähern sich Passanten um die nächste Fähre zu besteigen. Der Streusand vom vergangenen Winter ist noch nicht beseitigt. Die Fähre nähert sich und legt mit lautem Getöse an. Wieder tönt dumpfes Rummeln aus dem Schiffsbauch. Elbabwärts geht es jetzt, wieder auf dem Oberdeck, doch dieses Mal gegen den Wind.
Hamburgs Kulisse
Vorbei an Hamburgs Kirchtürmen und altehrwürdigen Bauwerken, an modernen Glaskästen, die sich zwischen alte Backsteingebäude schieben, vorbei an der AIDAcara, die bei Blohm & Voss im Trockendock 11 liegt, vorbei an der Fischauktionshalle, an unzähligen Kränen, dem riesigen Container Terminal und der Köhlbrandbrücke.
Bei „Strand Pauli“ wird Sand aufgefahren. Bald beginnt die Saison. Die karibische Strohhütte steht inmitten von Baggern und Sandbergen. Das Containerschiff „Dorothea Rickmers“ läuft ein und lässt zum Gruß ihr Schiffshorn ertönen.

Anlegestelle „Dockland“. Das schiefe, dem Bug eines eleganten Schiffes ähnelnde Gebäude aus Stahl und Glas, das 2005 einen Architekturpreis gewonnen hat, ist unverwechselbar. Die Sonne steht jetzt so hoch sie eben kann. Mittagszeit.
„Plopp“ – ein aus der Bierwerbung bekanntes Geräusch weckt schlafende Geister.
Gleich um die Ecke liegt die Große Elbstraße mit all ihren Fischgroßhändlern. Vom Hering bis zum Hummer gibt es hier alles fangfrisch „en gros et en détail“. Der Duft von Backfisch durchzieht die Frühlingsluft und macht Appetit.
Vor einem Laden hängt ein Schild „Letzter Imbiss vor New York -> 6130 km“. Klar, eine Häuserreihe hinter der Baustelle des neuen Cruise Center Altona kann der Gedanke an die Ferne schon aufkommen.
Das Fischmarkt Bistro verspricht frischen Brathering mit hausgemachtem Kartoffelsalat. Es ist eine typische Fischbratküche mit simplen Bistrotischen. Der Inhaber und gleichzeitig Fischbräter kommt mit zwei rohen Heringen an den Tisch: „Sind die nicht herrlich?“. Und in der Tat, knuspriger Bratfisch, frisch aus der Pfanne, ist ein gelungener Abschluss für einen solchen Ausflug. Linie 62 kann warten.
